Im Vorfeld der Landestagswahl in Brandenburg 2019 hat der VGD Brandenburg ein Positionspapier erarbeitet, das allen im Landtag vertretenen Fraktionen vorgelegt wurde.
Positionspapier
für mehr und nachhaltigere historische Bildung
an den Schulen im Land Brandenburg
Geschichte als unverzichtbarer Bestandteil der Bildung für nachhaltige Entwicklung
Nur ein Mehr und nicht ein Weniger an historischer Bildung kann zur Gestaltungskompetenz der jetzt lebenden Generationen für die Lösung der Menschheitsprobleme mit Zukunftsperspektive beitragen. Bietet doch gerade das Fach Geschichte ein großes Reservoir an Orientierungswissen, das die Heranwachsenden befähigt, gesellschaftliche Prozesse kritisch zu hinterfragen und unter dem Aspekt einer lebenswerten Zukunft zu bewerten. Geschichte muss wieder für alle Schülerinnen und Schüler in allen Schulen Brandenburgs zu einem Bildungserlebnis bzw. zu einem Wegweiser für Kultur, Kunst und Gesellschaft werden und muss sie in ihrem Denken und Handeln gegenüber einer populistischen und rechtsextremen Einflussnahme immun machen. Als Lehrkräfte tragen wir eine große Verantwortung für die Vermittlung insbesondere der Geschichte des 20. Jahrhunderts, die durch zwei Diktaturen geprägt ist. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, ist es zwingend notwendig, vergangene Entwicklungen und deren Kausalitäten aufzudecken und diese unter besseren Rahmenbedingen im Unterricht zu vermitteln. Nach Auffassung des Landesverbandes Brandenburg des VGD bildet die aktuelle schulpolitische Realität die oben dargestellten Erfordernisse in unserem Bundesland nicht hinreichend ab. Seit vielen Jahren droht dem Geschichtsunterricht die Gefahr, durch weitere einschneidende Kürzungen nur noch eine Randrolle einzunehmen und seine wissenschaftlich determinierte Leitfunktion für die historisch-politische Bildung gerade auch im Bereich der mittleren Schulabschlüsse zu verlieren. Die Mitglieder des VGD Brandenburg halten es für ihre Pflicht, sich im Jahr der Landtagswahlen und im Nachgang der Kommunalwahlen erneut an die Öffentlichkeit zu wenden, um den Fokus auf bildungspolitische Entwicklungen zu lenken, die in vieler Hinsicht im Widerspruch zu den von der KMK empfohlenen Handlungsfeldern des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Juni 2018 verabschiedeten „Nationalen Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) stehen, obwohl ein „Runder Tisch BNE“ als Bekenntnis- und Umsetzungsinstrument dieser Agenda bei der Landesregierung seit 2011 existiert. Der VGD ist bereit, die erforderlichen Impulse für eine Reform, die auf eine einschneidende Korrektur der strukturellen, personellen und konzeptionellen Rahmenbedingungen zielen, zu geben und an Veränderungen konstruktiv mitzuwirken.
Forderungen
Um für die heutige Schülergeneration eine nachhaltige historische Bildung durch einen guten und soliden Geschichtsunterricht zu erreichen, setzt sich der VGD für die Schaffung geeigneter Rahmenbedingung ein und verweist hiermit auf eine Anzahl unentbehrlicher Kernforderungen:
1. Dem Geschichtsunterricht einen festen Platz im schulischen Fächerkanon wieder sichern
Nachhaltigen Geschichtsunterricht zu gewährleisten, heißt, alles dafür zu tun, den Schülerinnen und Schülern ein reflektiertes Geschichtsbewusstsein zu vermitteln sowie sie mit den großen und bedeutenden Ereignissen der National- und Weltgeschichte vertraut zu machen. Das setzt angemessene und ausreichende Unterrichtsmöglichkeiten voraus. Epochaler Unterricht oder gar die Aussetzung des Geschichtsunterrichts innerhalb einer Jahrgangsstufe lehnen wir ab.
Zu unserer wesentlichen Kernforderung gehört ein eigenes Stundenkontingent für das Fach Geschichte von zwei Wochenstunden in den Klassenstufen 5 bis 10 in allen Schulformen. Die durchgängige Belegung des Faches Geschichte als Pflichtfach in der Sekundarstufe II ist beizubehalten.
2. Geschichte als eigenständiges Fach an allen Schulstufen erhalten
Geschichte ist in allen Bundesländern ein wissenschaftlich anerkanntes autonomes Fach mit eigenen Methoden, Inhalten und domänenspezifischen Kompetenzen im gesellschafts-wissenschaftlichen Aufgabenfeld. Es hat einen gesellschaftlichen Auftrag, der in seiner Spezifik sicherzustellen ist. Dabei kann das Fach fächerverbindend, fächerübergreifend, in Projektform oder in anderen Verbindungsstrukturen partiell und fakultativ mit anderen Fächern kooperieren und Bildungsprozesse effizient gestalten und bereichern. Alle anderen Vermittlungsformen, wie die eines „Integrationsfaches“, in dem die Fachspezifik partikularisiert wird oder gar verschwindet, sind abzulehnen. Der VGD Brandenburg fordert daher die Rückkehr zu den eigenständigen Fächern Geschichte, Politische Bildung und Geografie in der Primarstufe anstelle des Verbundfaches „Gesellschaftswissenschaften“, das zur personellen Kosteneinsparung führt und der Niveausenkung von historisch-politischer Bildung Vorschub leistet.
3. Geschichtsunterricht in seiner Fachlichkeit garantieren und dessen Qualität sichern
Die eigenständige Ziele, Denk- und Arbeitsweisen des Faches Geschichte müssen verlässlich im Unterricht vermittelt werden können. Nur eine entsprechende fachliche Qualifikation der Lehrkräfte kann dies erreichen. Insofern ist sicherzustellen, dass
- die Referendar*innen während einer 1,5- bis 2-jährigen Ausbildungszeit didaktisch-methodisch gut auf ihre Aufgaben vorbereitet werden und die Ausbildungslehrer sowie Mentoren der Referendar*innen und Praxissemesterstudenten an den Schulen qualifiziert und entlastet werden,
- Geschichte nicht durch fachfremde Lehrkräfte unterrichtet wird,
- alle Lehrkräfte im Dienst regelmäßig Fachfortbildungen im Rahmen des Weiterbildungsgesetzes wahrnehmen können,
- für Seiten- und Quereinsteiger ein umfassendes fachdidaktisches Ausbildungsprogramm verpflichtend angeboten wird,
- die Fachaufsicht der übergeordneten Gremien durch ausgebildete Lehrkräfte für die Sekundarstufen I und II im Fach Geschichte ausgeübt wird.
4. Lehrplaninhalte nicht auf außerfachliche Erwartungen reduzieren
Geschichte ist ein anspruchsvolles Fach, das mit langwierigen Wissenserwerbsprozessen verknüpft ist. Die zugedachte Wirkmächtigkeit für eine nachhaltige historische Bildung bei den Lernenden und Lehrenden des vor wenigen Jahren in Kraft gesetzten Rahmenlehrplans (RLP) ist nicht eingetreten. Der vollzogene Wandel von der Input- zur Outputorientierung in der Lernstrategie mit dem Ziel, die Lernenden nicht mehr mit „totem Wissen“ zu belasten, sie aber dafür mittels griffiger RLP-Kompetenzmessvorgaben für das Leben zu trainieren, erweist sich inzwischen für die Heranwachsenden in ihrer Zukunftsorientierung als wenig sinnvoll. Wie in anderen Fächern verhindert ein zu stark auf die Kompetenzentwicklung gekürzter Fachunterricht vor allem eins: die Lebensbedeutsamkeit von Geschichtswissen für sich zu erkennen. In diesem Zusammenhang wird zunehmend deutlich, dass bei den Schüler*innen Lücken im Fachwissen vorhanden sind. Grundlagen, auf denen bspw. der Unterricht in der Sekundarstufe II aufbauen sollte, sind nicht mehr vorhanden. Wenn das Fachliche aufgrund der Kompetenzorientierung an den Rand gerückt wird, nicht unserem Bildungsverständnis.
Es zeichnete sich bereits ab, dass die im RLP vorgegebene Menge an Basis- und Ergänzungsmodulen sowohl eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Themen als auch eine adäquate Kompetenzentwicklung der Schüler*innen nur bedingt unter den gegebenen Rahmenbedingungen ermöglichen. Parallel ist aber infolge einer fehlenden fundamentalen historischen Bildung ein oberflächliches Abarbeiten, ein Fragmentieren oder gar Parzellieren von historischen Themen in anderen Fächern zunehmend erkennbar.
Unsere Forderung lautet: Keine Kompetenzen ohne historische Bildung. Das neue Kerncurriculum muss statt der ausufernden Kompetenzvorgaben klare Inhalte und Umsetzungsoptionen enthalten. Deshalb sollte der RLP Brandenburgs unter unserer Mitwirkung sehr bald einer Revision unterzogen werden. Es gilt, das Pädagogische in allen Lernprozessen zurückzugewinnen und die Lust an Geschichte mit den Lernenden zu teilen.
5. Mit zeitgemäßem Geschichtsunterricht offensiv gegen Rassismus, Antisemitismus und rechtgerichteten Populismus
Der gesellschaftliche Diskurs zur Bewahrung der demokratischen Errungenschaften in Deutschland muss sich offensiv mit jeglichen Formen inhumaner Denkweisen und Handlungen, die vor dem Schulhof nicht halt machen, auseinandersetzen. Nachhaltiges historisches Wissen kann helfen, dieser Entwicklung entgegenzutreten. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit muss in Kooperation mit den zahlreichen außerschulischer Bildungsträgern und Institutionen erfolgen. Der VGD Brandenburg fordert daher permanent finanziell gesicherte historisch-politische Projektangebote gegen Rassismus sowie Gedenkstättenfahrten bereitzustellen, die ohne großen bürokratischen Aufwand an den Schulen realisiert werden können. In der Region Berlin-Brandenburg gibt es zahlreiche Möglichkeiten für die unterrichtsbezogene Arbeit an außerschulischen Lernorten. Diese Chance muss in den Klassenraum hineingeholt werden. In jeder Jahrgangsstufe in der Sekundarstufe I müssen die Schüler*innen einen außerschulischen Lernort zur historischen Bildung besuchen, um ihr Wissen und ihre Kompetenzen zu erweitern. Das Angebot an Gedenkstättenlehrer*innen ist beizubehalten und auszubauen.
Für den Landesverband Brandenburg
Dr. Günter Kolende, Landesvorsitzender
Florian Rietzl, stellv. Landesvorsitzender